Es ist, als hätte ich das alles längst geahnt.
So, als hätte ein Teil von mir, ganz tief drinnen irgendwie schon gewusst,
was kommen würde.
Das kam so: Als mein Sohn Kilian als Extremfrühchen da in seinem Brutkasten
für das Leben kämpfte, forderten mich die Ärzte auf, eine Kassette für
ihn zu besprechen. Alle Frühchen hatten einen kleinen Walkman im Inkubator,
und alle wussten, dass die Vitalwerte der Babys sich optimieren, wenn
sie die Stimme der Mutter hören. Dafür die Walkmen. Dafür sollte ich eine
Kassette besprechen.
Mir war aber ganz und gar nicht danach. Nie in meinem Leben hatte ich
größere Angst gehabt, und nun sollte ich mich hinsetzen und ein blödes
Märchen auf eine olle Kassette quatschen.Es ging nicht. Ich wollte es
wohl so gerne für mein Kind tun - konnte ich doch überhaupt viel zu wenig
tun für ihn - aber mein Mund war wie zugewachsen. ich saß vor dem Mikro
und bekam keinen Laut heraus.
Eines Morgens aber dann forderte mein Mega-Sohn dann doch, was er so sehr brauchte: Ich wachte auf und summte ein Lied. Das war eine ganz einfache Melodie. Fast wie ein Kinderlied. Und ich staunte nicht schlecht, als ich kurze Zeit später anfing es zu singen und begann, es mit Textzeilen zu belegen. Es war ein Lied geworden. So, als hätte mir jemand im Schlaf das Wissen um ein Lied eingegeben.
Das Lied war da, aber ich hatte es nicht wirklich erfunden. Ich ließ mir keine Zeit, das weiter zu ergründen, ich rief befreundete Musiker an und überredete sie, sich mit mir sofort zu treffen und das Lied aufzunehmen, solange es noch "da " war. Ich hatte richtig Angst, ich könnte es wieder vergessen. Ich vergaß es aber nicht. Wie hätte ich auch. Es ist ein ganz einfacher Ohrwurm, und ich hatte ihn längst verschluckt.
Noch am gleichen Vormittag war ich in Berlin und nahm den "Calimero" auf. Warum Calimero? Ich weiß es nicht so genau, es fiel mir so ein, weil diese kleinen Frühchen alle immer Mützen tragen müssen, um warm zu bleiben, aber diese Mützen sind allesamt zu groß. Sie verrutschen immer und die Frühchen sehen damit aus wie Calimero.Es war so eine Art "Not- Aufnahme", eine schnelle Vierspurgeschichte, und als die Musik fertig war, und ich den Text einsang, da wussten wir nicht, ob ich es durchhalten würde bis zum Ende zu singen , ohne dabei fürchterlich loszuheulen. Ich habe durchgehalten. Und ich hatte immer noch nicht genug damit. In einer Pause lag ich auf der Erde und schriebe ein zweites Lied. Das sollte auch für Kilian sein. Ich dachte schon, jetzt kommt so ein Lied nach dem anderen aus mir heraus. Aber so war das nicht . Es waren diese zwei Lieder.
Der Calimero war das Lied der Hoffnung.
Das zweite Lied war das Lied meiner Angst, vom Festhalten und Loslassen.
Es war, als würde der Calimero das happy end für mein kleines Frühchen bedeuten, und als würde das zweite Lied die Angst sein, dass er sterben könnte.
Und es stellte sich heraus, dass Kilian den Calimero liebte, während er dieses zweite Lied überhaupt nicht zu mögen schien. So bekam Kilian ein Endlosband mit dem Calimero. Und das zweite Lied verschwand aus meinem Gedächtnis.
Bis es mir dann wieder einfiel!
Es fiel mir in dem Moment ein, als zwei Jahre später mein Sohn Jannik
in meinem verräterischen Leib kurz vor seiner Geburt starb, in dem Moment,
als zunächst nur Janniks kleines Händchen geboren war und ich es so verzweifelt
festhielt. "Ich halte deine Hand", ging es mir da durch den Kopf, " ich
lass dich nie mehr los", tönte es in mir. Da wusste ich plötzlich, für
was und wen dieses Lied da war.
Zu Janniks Beerdigung hörten wir dieses Lied und hielten uns dabei an
den Händen, um uns Mut zu machen.
Wer möchte, kann sich die Lieder gerne anhören.
Zwei ganz einfache , kleine Lieder, für zwei große Stationen in meinem
Leben.
"Calimero" (mp3 573 kB) "Ich halte deine Hand" (mp3 503 kB)
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